Job-Ghosting: Wenn Bewerber:innen plötzlich untertauchen
Hurra, die Mitarbeitersuche hat ein Ende, die Idealbesetzung für eine offene Stelle ist gefunden! Doch dann taucht die Person plötzlich ab, E-Mails und Anrufe bleiben unbeantwortet. Wie beugt man Job-Ghosting vor und wie gelingt es, trotz allem das Beste aus der Situation zu machen? epunkt hat 164 Unternehmensvertreter:innen und Personalverantwortliche zu ihren Erfahrungen mit Ghosting befragt und wertvolle Tipps von Arbeitspsychologin Bettina Kapfer erhalten.
Inhalt
Gerade keine Zeit zum Lesen? Kein Problem. Den Beitrag einfach kostenlos als eBook zum Nachlesen downloaden – inkl. Interview mit Arbeitspsychologin Bettina Kapfer und den vollständigen Umfrageergebnissen. 👇
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Ob beim Dating oder auf der Suche nach dem Perfect Match im Job: Wer schon einmal geghostet wurde, weiß, in welcher Gefühlsachterbahn man dabei unfreiwillig landet. Was ist passiert? Habe ich etwas falsch gemacht? Ist mein Angebot nicht gut genug? Muss ich echt wieder ganz von vorne anfangen?
Von Tinder in den Talent Pool
Ghosting kommt immer häufiger auch im Bewerbungsprozess vor und verursacht neben erheblichen Kosten für die unbesetzte Schlüsselposition auch rohe Verzweiflung in den Abteilungen, die die fehlenden Ressourcen ausgleichen müssen. Wir waren neugierig, wie es österreichischen Arbeitgebern damit geht und haben 164 Unternehmensvertreter:innen und Personalverantwortliche befragt.
Ganz ehrlich: Bei einigen Antworten ist uns die Kinnlade runtergeklappt 😮
Die Umfrageergebnisse
Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Bewerber:innen den Kontakt plötzlich abbrechen und nicht mehr auf Kommunikationsversuche reagieren?
- Ja: 96 %
- Nein: 4 %
Wenn ja, wie häufig ist Ihnen Ghosting im Bewerbungsprozess begegnet?

Gründe für die Funkstille: Wartezeiten, Selbstwert oder Stelleninserat?
„In der Vergangenheit war Ghosting ein Phänomen, das eher vonseiten der Unternehmen ausging“, weiß Bettina Kapfer*. Die Arbeitspsychologin kennt die „alte Schule des Ghostings“ noch aus eigener Erfahrung als junge Rechtsanwaltsanwärterin und auch von ihren Klient:innen: „Fast jede:r hat das schon einmal erlebt, dass auf eine Bewerbung keine Rückmeldung erfolgt ist oder man sich im besten Fall wie eine Nummer behandelt fühlte. Das hat lange funktioniert, aber nachdem wir inzwischen einem Bewerber:innenmarkt gegenüberstehen, dreht sich das Spiel.“
Bettina Kapfer über die Gründe, warum Kandidat:innen plötzlich abtauchen:
- Konfrontationsangst: Menschen tun sich oft schwer, über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen, andere zurückzuweisen, Nein zu sagen. Sich der Situation zu entziehen, ist dann der einfachste Weg. Man vermeidet damit gleichzeitig die Konfrontation mit den eigenen Ängsten: manche Leute haben Bedenken, sie könnten doch noch überredet werden oder das Gegenüber könnte gekränkt sein. Sehr vieles kann man auf den Selbstwert zurückführen. Wenn dieser stark im Außen verankert ist und darauf aufbaut, was man von anderen zurückbekommt – Lob, Wertschätzung, Zustimmung – dann wird es schnell ‚gefährlich‘.
- Intransparente Kommunikation und lange Wartezeiten: Lange Wartezeiten sind Gift für den Bewerbungsprozess. Zu schlechter Kommunikation zählt auch, wenn der Prozess unklar ist. Vor allem aber, wenn Dinge kommuniziert werden, die nicht eintreffen: „Ich melde mich nächste Woche bei Ihnen“ – zwei Wochen später hat man immer noch nichts gehört. Das ist eigentlich eine Art des Mini-Ghostings seitens des Unternehmens.
- Mangel an psychologischer Sicherheit: Unternehmen unterschätzen, wie stressig die Situation für Bewerber:innen ist. Die meisten sitzen entweder in einem Job, der sie unglücklich macht, oder sie waren bereits so unglücklich, dass sie schon gekündigt haben und nun sitzt ihnen das AMS im Nacken, womöglich haben sie finanzielle Sorgen. In dieser Drucksituation ist es wichtig, dass jemand Sicherheit kommuniziert bekommt und sich auf das Gesagte verlassen kann.
- Negative Eindrücke vom Unternehmen: Unprofessionelles Verhalten der Ansprechperson oder der Eindruck, dass die Werte auseinander driften. Es gäbe auch immer noch Unternehmen, die unangebrachte oder sogar unzulässige Fragen im Bewerbungsprozess stellen.
- Ungenaue Job Description: Wenn der Job stark vom Stelleninserat abweicht, ist das ein Beziehungsbruch und ein Faktor, der dazu führen kann, dass die Kandidat:innen sich gar nicht mehr vorstellen können, für das Unternehmen zu arbeiten.
So unangenehm es ist, aber Ghosting ist eine Antwort. Es ist ein „Ich habe kein Interesse.“ Im Dating wie im Bewerbungsprozess. Es ist nur nicht die schön ausformulierte, begründete Antwort, die wir uns in einer guten Kommunikation wünschen.
„Er ist am ersten Arbeitstag einfach nicht aufgetaucht“: O-Töne der Befragten
Was die Umfrage-Teilnehmer:innen zu Ghosting seitens der Kandidat:innen sagen: |
„Viele Unternehmen nehmen sich auch nicht die Zeit, Bewerber:innen abzusagen oder ihnen zu den vereinbarten Zeiten das versprochene Feedback zu geben & darüber redet niemand. Ich finde es gut, dass nun die Arbeitnehmer:innen einmal in der starken Position sind und sich hoffentlich die zwei Kräfte nun auf Augenhöhe in der Mitte finden. Bis dahin wird es wohl noch etwas dauern :) Unternehmen verändern sich schwerer, denken immer noch, sie wählen aus, können 4 Runden im Auswahlprozess machen und sich monatelang Zeit nehmen. Da müssen sich auch Arbeitgeber künftig mehr an der Nase nehmen – nicht nur für das Employer Branding, sondern in dem, was sie täglich leben und tatsächlich tun!“ |
„Es hat immer mit Kinderstube und Erziehung zu tun. Mit Menschen aus früheren Kohorten haben wir diesbezüglich keine Probleme – erst ab Geburtsjahr 2000 scheint die Ernsthaftigkeit des Bewerbungsprozesses und damit verbundene Gebote der Höflichkeit, nicht nur Absage für den Job, auch Kleidung keinen Stellenwert mehr zu haben. Wir erwarten jetzt nicht, dass unsere Kandidat:innen in Samt und Perlen erscheinen, aber für eine Versicherung sind zerrissene (vielleicht durchaus teure) Jeans und ein ausgewaschenes Leiberl eher unpassend. Wir haben keine Krawattenpflicht und unsere MA müssen auch nicht im Anzug im Büro sitzen, allerdings ist auch ein Bewerbungsgespräch eine Atmosphäre beiderseitigen Respekts und auch der damit verbundene Prozess. Die respektvolle Behandlung von uns spiegelt sich leider bei den Bewerber:innen nicht wider.“ |
„Nervt!“ |
„Kommt auf die interne Blacklist.“ |
„Bei uns ist es schon gelegentlich passiert, dass der Bewerbungsprozess durch war, der Bewerber war ausgesucht und alles inkl. Eintrittstermin war ausgemacht. Am ersten Arbeitstag ist er allerdings nicht erschienen. Hat sich weder gemeldet noch war er/sie erreichbar. Zu diesem Zeitpunkt ist es besonders ärgerlich, da mit der Bewerbersuche wieder von vorne angefangen werden musste. Es wurde alles vorbereitet (Arbeitsplatz, Projekte etc.).“ |
„Die Zeiten ändern sich, wir werden uns daran gewöhnen müssen. Recruiting wird immer mehr zu Vertriebsarbeit.“ |
Was die Umfrage-Teilnehmer:innen zu Ghosting seitens der Kandidat:innen sagen: | „Viele Unternehmen nehmen sich auch nicht die Zeit, Bewerber:innen abzusagen oder ihnen zu den vereinbarten Zeiten das versprochene Feedback zu geben & darüber redet niemand. Ich finde es gut, dass nun die Arbeitnehmer:innen einmal in der starken Position sind und sich hoffentlich die zwei Kräfte nun auf Augenhöhe in der Mitte finden. Bis dahin wird es wohl noch etwas dauern :) Unternehmen verändern sich schwerer, denken immer noch, sie wählen aus, können 4 Runden im Auswahlprozess machen und sich monatelang Zeit nehmen. Da müssen sich auch Arbeitgeber künftig mehr an der Nase nehmen – nicht nur für das Employer Branding, sondern in dem, was sie täglich leben und tatsächlich tun!“ |
Was die Umfrage-Teilnehmer:innen zu Ghosting seitens der Kandidat:innen sagen: | „Es hat immer mit Kinderstube und Erziehung zu tun. Mit Menschen aus früheren Kohorten haben wir diesbezüglich keine Probleme – erst ab Geburtsjahr 2000 scheint die Ernsthaftigkeit des Bewerbungsprozesses und damit verbundene Gebote der Höflichkeit, nicht nur Absage für den Job, auch Kleidung keinen Stellenwert mehr zu haben. Wir erwarten jetzt nicht, dass unsere Kandidat:innen in Samt und Perlen erscheinen, aber für eine Versicherung sind zerrissene (vielleicht durchaus teure) Jeans und ein ausgewaschenes Leiberl eher unpassend. Wir haben keine Krawattenpflicht und unsere MA müssen auch nicht im Anzug im Büro sitzen, allerdings ist auch ein Bewerbungsgespräch eine Atmosphäre beiderseitigen Respekts und auch der damit verbundene Prozess. Die respektvolle Behandlung von uns spiegelt sich leider bei den Bewerber:innen nicht wider.“ |
Was die Umfrage-Teilnehmer:innen zu Ghosting seitens der Kandidat:innen sagen: | „Nervt!“ |
Was die Umfrage-Teilnehmer:innen zu Ghosting seitens der Kandidat:innen sagen: | „Kommt auf die interne Blacklist.“ |
Was die Umfrage-Teilnehmer:innen zu Ghosting seitens der Kandidat:innen sagen: | „Bei uns ist es schon gelegentlich passiert, dass der Bewerbungsprozess durch war, der Bewerber war ausgesucht und alles inkl. Eintrittstermin war ausgemacht. Am ersten Arbeitstag ist er allerdings nicht erschienen. Hat sich weder gemeldet noch war er/sie erreichbar. Zu diesem Zeitpunkt ist es besonders ärgerlich, da mit der Bewerbersuche wieder von vorne angefangen werden musste. Es wurde alles vorbereitet (Arbeitsplatz, Projekte etc.).“ |
Was die Umfrage-Teilnehmer:innen zu Ghosting seitens der Kandidat:innen sagen: | „Die Zeiten ändern sich, wir werden uns daran gewöhnen müssen. Recruiting wird immer mehr zu Vertriebsarbeit.“ |
27 % der Befragten hatten das Gefühl, es gäbe bestimmte Profile oder Positionen, bei denen Ghosting häufiger auftrete. Sie nannten allen voran Assistenzpositionen, IT-Profile wie Helpdesk, Sysadmin, Netzwerkadmin oder auch sehr stark nachgefragte Positionen wie Senior Developer. Im niedrigeren Gehaltssektor sei das Phänomen häufiger anzutreffen, auch bei jungen Absolvent:innen (genannt wurden speziell die Jahrgänge ab 2000), allerdings – O-Ton – „nie in sehr guten Positionen“.
Dass die Generation Z häufiger ghostet, möchte Arbeitspsychologin Bettina Kapfer nicht verallgemeinern: „Ich würde sagen, dass die junge Generation gut darin ist, für sich einzustehen. Sie buckeln nicht mehr für die Arbeitswelt, sondern schauen in erster Linie auf sich und das ist eine andere Kompetenz. Man macht es sich ein wenig zu einfach, wenn man behauptet, die Jungen haben keine Sozialkompetenzen mehr. Damit schiebt man das Problem zum Gegenüber. Die Generation reagiert vielleicht sensibler darauf, wie sie behandelt wird.“
Auswirkungen
Am häufigsten genannt wurden:
- Verzögerung des Auswahlprozesses (wenn im Endspurt des Auswahlprozesses die Antwort ausbleibt)
- Ressourcenaufwand für die erneute Mitarbeitersuche (wenn nach der Zusage geghostet wird)
- Die Produktivität des gesamten Teams leidet
- Enttäuschung, Frustration
- Projekte verzögern sich
- Ein:e Teilnehmer:in verriet: Da sich so viele nicht mehr gemeldet haben bzw. nicht zum Gespräch erschienen sind, wurde die Lehrstelle abgeschafft
Wie kann man als Personalverantwortliche:r Ghosting entgegenwirken?
Welche Möglichkeiten gibt es in der Kommunikation, um Ghosting zu vermeiden?
Lisa Schätz, Teamlead Sourcing bei epunkt: „Die Erfahrung hat gezeigt, dass man möglichst schnell von der schriftlichen Kommunikation auf Plattformen zu einem Telefonat oder Videocall wechseln und nach privaten Kontaktdaten fragen sollte. WhatsApp, SMS & Co. – alles ist möglich, um in Kontakt zu bleiben. Kandidat:innen werden auf Karriereplattformen oft mit Nachrichten überhäuft, da kann man schnell den Überblick verlieren und auf eine Nachricht vergessen. Zudem sind Kandidat:innen vielleicht nicht regelmäßig auf der jeweiligen Plattform aktiv. Deshalb möglichst zeitnah Kontaktdaten außerhalb der Plattform austauschen – am besten gleich die eigenen Kontaktdaten in der Nachricht oder in der Signatur verwenden und auf diese verweisen.“
- Personalisieren, was das Zeug hält: Den Bewerbungsprozess so persönlich wie nur möglich zu gestalten, baut bereits zu Beginn eine Bindung auf und zeugt von Wertschätzung. Videocalls, Telefonate oder eine personalisierte E-Mail oder WhatsApp-Nachricht lässt Kandidat:innen spüren, dass die Kommunikation nicht automatisiert stattfindet. Tipp: So rasch wie möglich dafür sorgen, dass ausgewählte Personen die Führungskraft und das Team kennenlernen.
- Schnelle & transparente Kommunikation: „Wenn man Kandidat:innen transparent mitteilt: So sieht unser Prozess aus, wir sind ein großes Unternehmen, Personalentscheidungen werden von mehreren Personen getroffen, es gibt Urlaubsabwesenheiten – dann kommt auch eine jüngere Generation, die schnelle Kommunikation gewöhnt ist, damit klar“, so Bettina Kapfer. „Wenn ich weiß, dass mein Prozess eher langwierig wird, muss ich die Kommunikation verdichten.“
- Aktives Pre-Boarding: Lange Kündigungsfristen machen es umso wichtiger, dafür zu sorgen, dass neue Mitarbeiter:innen eine Verbindung gegenüber dem Unternehmen aufbauen und sich nicht für andere Optionen begeistern lassen. Neben dem persönlichen Kennenlernen kann man sie bereits vor Dienstbeginn zu Teamevents einladen, einen detaillierten Einschulungsplan übermitteln, für Fragen jederzeit offen sein, sie in den Newsletter aufnehmen, Willkommenspakete versenden, eine virtuelle Kaffeepause mit dem zukünftigen Termin veranstalten, ... der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Sie werden damit wenig Konkurrenz haben.
- Zahlen, Daten, Fakten nutzen: Welche Analysen Arbeitspsychologin Bettina Kapfer vorschlägt, lesen Sie im eBook.
Und wenn es mal keine neuen Infos gibt: auch das ist eine Info, die wichtig für den Kandidaten, die Kandidatin ist. Ehrlichkeit und Transparenz im Bewerbungsprozess sind wichtig, damit das Gegenüber einem vertrauen kann.
Arbeitspsychologin Bettina Kapfer: Wie man das Beste aus der Situation macht
Ich empfehle, standardisiertes Feedback einzuholen und es nicht zu scheuen. Gerade die Personen noch einmal anzuschreiben, die geghostet haben. Da steckt viel wertvolle Information drin. Es gibt neuralgische Punkte, an denen Menschen wirklich ehrlich sind. Leider tauchen oft erst im Exit-Gespräch Themen auf, die jemanden von Anfang an gestört haben. Diese Momente, in denen Menschen „nichts zu verlieren“ haben, kann man nutzen. Und auch die eigenen Mitarbeiter:innen befragen, da diese oft ein sehr gutes Gespür haben. Das kann einem nur helfen. Der Umgang mit Rückschlägen ist ein ganz wichtiger Resilienzfaktor des Menschen und das kann man auch auf Unternehmen umlegen. Sie können diese Situationen nutzen.
*Bettina Kapfer hat lange Jahre als Juristin gearbeitet, bevor sie einen Neustart als Psychologin gewagt hat. Aufgrund Ihrer früheren Erfahrungen mit großen Stressbelastungen widmet sie sich heute ganz den Themen Stressmanagement, Resilienz stärken und Zeitmanagement. Als Arbeitspsychologin unterstützt sie mit Trainings, Workshops und Coaching Unternehmen dabei, ihre organisationale Resilienz zu stärken und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Menschen sich auf Montage freuen.